Casablanca

Tanger, Rabat, Casablanca

250 Kilometer oder knapp vier Stunden Fahrt mit dem Zug (plus vierzig Minuten Verspätung aufgrund diverser nicht eruierbarer Verzögerungen) sind es von Tanger nach Rabat. Diesmal habe ich die 2 am Rücken beziehungsweise das zweitschlimmste Zimmer im wunderbaren Riad «Dar Alia» bekommen. Das schlimmste wäre auch noch zu haben gewesen, doch das habe ich nach einem kurzen Einblick abgelehnt. Mein Zimmer ist gelb gestrichen, hat aber kein Fenster nach aussen, sondern nur eins zum Patio. Ausserdem ist es gleich beim Eingang, was bedeutet, dass man, also ich, alles mitbekommt, was im Riad ein- und ausgeht. Und sie gehen nicht leise aus und ein, sondern mit viel Geschwätz, mit Türenzuschlagen und laut rollenden Rollkoffern, auch früh am Morgen und spät in der Nacht. Bei aller Schönheit dieser Riads, schallschluckend sind sie nicht, im Gegenteil. So richtig für sich ist man auch nicht, eben wegen dem Fenster zum Hof, durch das die anderen Gäste ins Zimmer schauen und schauen, was man da so treibt, auch wenn man nichts treibt. Man, also ich, muss die Vorhänge ziehen, womit es sogleich dunkel wird im Zimmer. Item, es ist ja nur für eine Nacht. Sonst ist es ein schönes und günstiges Hotel, es hat sogar einen Fernseher im Zimmer und ein funktionierendes Wifi.

Rabat ist keine schöne Stadt. Wäre hier nicht die mauretanische Botschaft, wäre ich nicht hier. Die Stadt hat gespürt, dass ich sie nicht mag und spielt mir einen zünftigen Streich. Ich suche also diese Botschaft auf und, weil hier alles ein bisschen mehr Zeit braucht, komme zu spät. Mit dem Kopf immer noch in der Ersten Welt, haben sich die Umstände während der Überfahrt aber verschoben. Alles braucht seine Zeit, manchmal so viel, dass sie gar keine Rolle mehr innezuhaben scheint. Der Zug braucht mehr Zeit als vorgesehen. Die Orientierung braucht mehr Zeit, das Mittagessen braucht mehr Zeit, der Weg zur mauretanischen Botschaft braucht mehr Zeit. Die liegt sehr weit draussen in einem noblen Vorort, den zu Fuss zu erreichen aussichtslos ist. ÖV gibt es dort nicht mehr, also muss ich ein Taxi nehmen. Taxis sind hier kein Problem, es hat genug, man steht an die Strasse, hebt die Hand und schon ist eines da. Wie im Film. Das nächste Problem ist, dass die Öffnungszeiten dieser Botschaft überall, wo ich darüber etwas finde, im Internet, auf Formularen, anders angegeben sind. Jedenfalls bin ich zu spät. Das ist eine mittlere Katastrophe, denn so muss ich morgen wiederkommen, was aber bedeutet, dass ich das Visum nicht mehr vor dem Wochenende erhalte, da man sich 24 Stunden für die Bearbeitung ausbedingt.

So ist es denn auch. Ich suche am nächsten Morgen erst mal den Bahnhof auf, da es dort angeblich einen Kopierapparat gibt. Im Hotel, diesem kleinen wunderbaren fensterlosen Riad, gibt es keinen Kopierapparat. Im Kiosk am Bahnhof, den mir Madame vom Hotel empfiehlt, ist der Kopierapparat defekt. Nach einer Viertelstunde des Herumirrens finde ich ein Geschäft mit einem funktionierenden Kopiergerät. Alsdann mache ich mich per Taxi zur Botschaft von Mauretanien auf. Dort komme ich um halb zehn schon an und habe Glück. Zweimal sogar, denn erstens gibt es keine Warteschlange vor dem Schalter (aus besagten Gründen beantragt niemand am Freitag ein Visum), und zweitens habe ich die Passkopien schon gemacht, denn man, also der Mann am Schalter, verfügt über keinen Kopierapparat. Hier wird erwartet, dass man alles bereit hat: Drei Passkopien, Pass, zwei Passfotos sowie 350 Dirham (was auf der anderen Seite des Mittelmeers 35€ sind). Ich fülle das Antragsformular aus, zahle und gehe. Ich bin guter Laune.

Casablanca

Casablanca

Ich fahre ins Hotel zurück, buche im Internet ein Hotelzimmer in Casablanca, zahle und gehe. Ich löse ein Erstklassbillett und bin in einer Stunde da. Die junge Dame an der Reception des Hotel «Moroccan House» möchte meinen Pass sehen, den habe ich aber nicht bei mir, denn der liegt auf der mauretanischen Botschaft in Rabat zwecks Visumsantrags. Die junge Dame lässt mich unter keinen Umständen ohne Pass einchecken, also stehe ich da wie der Depp. Ich versuche es ungebucht im Hotel «Ibis» beim Hauptbahnhof. Der Pass sei nicht das Problem, sagt der Concierge da, er brauche eigentlich nur die Nummer – «la numéro d’entrée en maroc» ­ die mir bei der Einreise in den Pass gestempelt wurde . Diese Nummer habe ich natürlich nicht notiert. Ich rufe Madame im Dar Alia in Rabat an. Madame gesteht, dass sie mich nicht registriert habe, man sei désolée, sie hätte sich diese Nummer nicht notiert. Ich war also ein «schwarzer Gast», einer, von dem das Steueramt nichts erfährt. Da hätte ich eigentlich auch einen besseren Preis aushandeln können. Item, ich habe die Quittung der mauretanischen Botschaft bei mir, da steht eine Telefonnummer drauf, die rufe ich nun hoffnungsvoll als nächstes an. Dort aber sagt man mir herzlich, aber aussichtslos, dass die Botschaft geschlossen sei. Es ist Freitagnachmittag halb drei. Ich bin jetzt in einer unangenehmen Lage, weil ohne Hotel, rufe nochmals Madame an, schildere ihr die ungünstigen Umstände, worauf sie zu verstehen gibt, dass ich problemlos zurückkommen könne. Mit dem Gefühl eines Pechvogels im Bauch fahre ich nach Rabat zurück, betrachte mir eine Stunde lang die linke Seite der Bahnstrecke (die Küste) und sinniere dabei: «Rabat, du magst mich nicht, ich mag dich nicht, aber du hast anscheinend noch nicht genug von mir.»

Aus: «Tre Vulcani», 2015