Warten auf den Zug – Am Cap Blanc rosten die Schiffe still vor sich hin – Einst lief hier die «Méduse» auf einer Sandbank auf – 140 Menschen sind ertrunken
NOUADIBOU. Es war einmal eine Sandbank und ein ziemlich zwielichtiger Kapitän. Beides zusammen führte anfangs des 18 Jahrhunderts im Atlantik vor Mauretanien zu einem spektakulären Schiffsunglück. Man wusste, dass mit der Sandbank im Meer am «Cap Blanc» unweit des heutigen Nouadibou nicht zu spassen war. Man wusste um die Gefahr, weil man die genaue Lage, Ausdehnung und Tiefe der «Arguin-Sandbank» in jenen Jahren, als die Vermessung der französischen und englischen Kolonien in Westafrika noch nicht so weit war, dass man sicher durch die Meere pflügen konnte, noch nicht kannte. Man wusste eigentlich nur, dass man die Örtlichkeit möglichst weiträumig umfahren musste. Einer wollte es nicht wahrhaben, ein Mann namens Hugues Duroy Vicomte de Chaumareys, Franzose, zwielichtig, arrogant, ein Günstling der damals machthabenden Bourbonen in Frankreich. Einer der mal zur See gefahren war, aber schon 25 jahre nicht mehr, und nur Kommandant einer kleinen Flotte französischer Schiffe, die Kolonialisten, deren Familien und zugehörige Fuhrhabe nach Senegal bringen sollte, wurde, weil er eben im richtigen Moment am richtigen Ort war und auserwählt wurde, obwohl er null Ahnung vom Projekt hatte, das er leiten sollte.
Es kam wie es kommen musste und also lief die «Méduse», das Kommandantenschiff des Verbandes, in der Nacht des 2. Juli 1816 auf ebendieser Sandbank auf. Das Schiff war nicht mehr vom Ort wegzubewegen, also gab man es auf, evakuierte 400 Personen auf sechs Beibote und ein aus Holz der Méduse gezimmertes Floss. Rund 200 Personen sollten auf das Floss, nur 147 hatten Platz, es begannen Ausleseprozesse und es gab die ersten Opfer davon, also Zurückbleibende und Tote. Schliesslich ertranken von den 147 deren etliche, und etliche wurde über Bord geworfen und wiederum etliche getötet und verspiesen. Die Besatzungen der Beiboote fanden irgendwie den Weg nach St.Louis im Senegal und überlebten trotz schwierigster Bedingungen. Unter ihnen auch Hugues Duroy Vicomte de Chaumareys, dem später in Paris ein Prozess gemacht wurde, wobei er gerade mal drei Jahre Kerker bekam. Ein Bericht eines überlebenden Passagiers an die Presse löste in der Folge einen Skandal aus in Frankreich. Und einer, Monsieur Théodore Géricault, malte 1819 ein Bild nach den Schilderungen der Überlebenden. Es hängt heute im Pariser Louvre («Le Radeau de la Méduse»)
Heute ist die Sandbank vor dem Cap Blanc vermessen und kein Problem mehr. Die Fischer von Nouadibou und Nouakschott kennen die Stelle – aber trotzdem liegen am Cap Blanc ein gutes Dutzend abgehalfterte Fischtrawler herum. Es sind keine aufgelaufenen Schiffe, sondern einfach nur ausrangierte. Irgendwo müssen sie ja hin, wenn sich schon keiner für das Alteisen interessiert. Da ist vielleicht etwas Ironie dahinter: Mauretanien verfügt über eine ergiebige Erzmine in der Sahara, aus der jeden Tag 3000 Tonnen Eisenerz gefördert werden. Neues Eisen also, wer will da schon mit altem zu tun haben? Der Schiffsfriedhof am Ras Nouadibou ist mittlerweile recht berühmt und zum beliebten Fotosujet geworden. Auch ich war da, gerade eben. Hier das Pic:
Während ich also auf den Zug in die Wüste warte, mache ich mir ein Bild und das ist draus geworden. Apropos: Das Cap Blanc oder eben Ras Nouadibou ist eine Halbinsel, die zwei Ländern, nämlich Mauretanien und der Westsahara gehört. Die Grenze verläuft längs exakt in Nord-Süd-Richtung. Auf der westsaharischen Seite gibt es ausser Sand und Landminen darin nichts zu sehen (letztere eben nicht zu sehen). Auf der mauretanischen Seite ist die Stadt Nouadibou, der Fischerhafen und der Verladeterminal für die Erzzüge, den «Desert Trains». Und genau einen solchen werde ich heute abend besteigen.