Binär im Spital

«Habt ihr gestern den ESC geschaut», fragte Langenegger in die Runde und spielte den Schellen-Ober aus.
«Ja natürlich», sagte Karre, dessen rechter Fuss in einem dicken Gips steckte, «dieser schwule Typ auf dem Kreisel war der Hammer!»
Zwei Krücken lehnten an seinem Stuhl.
«Der ist nicht schwul, der ist nur nicht binär», grinste Polizist Dibidäbi, «und ausserdem darf man schwul nicht mehr sagen, göll!»
«Ich sage, was ich will und das ist wahr. Und wo ist denn der Unterschied, komm gib endlich eine Karte», sagte Garagist Karre.

Dibidäbi haute sein Schellen-Ass raus: «Weiss ich nicht, binär ist vielleicht das neue schwul.»
«Non-binär ist beides oder nichts», wusste Arzt Langenegger und staunte ein wenig, weil sein Ober stach, «das ist eine Geisteshaltung, also Hirnsache».
Sie spielten gerade «onenufe» und darum stach die niedrigste Karte der ausgespielten Farbe alle anderen.

«Man kann nicht nichts sein», sagte Gipfel, «aber beides schon.»
Um Gipfels linkes Knie war ein dicker Verband gewickelt, und er sass in kurzen Sporthosen da. Wo man Haut von ihm sah, war sie voller frisch abgeheilter Narben. Er hatte vor einigen Wochen einen üblen Bergsturz von der Hoch Petersalp überlebt und stand kurz vor seiner Entlassung aus dem Spital.
Karre, der eine Autoreparaturwerkstatt betrieb, war vor einigen Tagen ein Motorblock eines BMW X5 xDrive40i (TwinPower Turbo 6-Zylinder-Verbrennungsmotor mit 280 kW/381 PS zu 113‘500 CHF) auf den Fuss gefallen, aus einem Meter Höhe. Der BMW stand auf dem Lift, als irgendwie, keiner weiss warum, sich der Motor aus seiner Aufhängung gelöst hatte und krachend herunter fiel. Karre fiel sechs Wochen aus, sein rechter Fuss für immer. Er hatte zurzeit genug Zeit, um mit seinen Kumpels zu jassen und sich ausserdem zu überlegen, ob er sich eine Fussprothese aus einer Chrom-Titan-Nickel-Legierung oder eine drei Mal teurere aus Graphen-Nano-Röhren-Material anpassen lassen sollte. Denn was den professionellen Geizkragen am meisten bei der Sache ärgerte, war, dass er weiterhin ein ganzes Paar Schuhe kaufen musste, obwohl er nur den linken Schuh brauchte.
Er sagte: «Genau, man kann nicht nichts sein, also man kann nicht kein Geschlecht haben.»
«Das ist eine Kopfsache», meinte Chefarzt Langenegger, der sich für die Jassrunde eine Stunde Pause bei seinem Job nahm, «der Typ fühlt sich weder als Mann noch als Frau, darum weder-noch, eben non-binär.»
Karre: «Also sind Leute, die Mann oder Frau sind, binär? So etwas habe ich noch nie gehört, solche Leute sind doch ganz einfach normal und alles andere ist abnormal. Entweder man hat ein Pfeifchen oder ein Schlitzchen.»
«Non-binär, sonen Seich», unkte Polizist Dibidäbi, «dann ist er ein Es, wie der Bundesrat Maurer gesagt hat, sein Nachfolger könne Frau oder Mann sein, es sei ihm egal, aber sicher kein Es.»
Dibidäbi kicherte, er wollte zeigen, dass er in der sogenannten Genderdebatte voll auf der Höhe war.
«Männer wie Frauen sind binär, Es ist non-binär», klärte Langenegger auf, «aber Es ist im Kopf und nicht im Schritt!»
«So wie einer mit einem Schniddel denkt, er sei eine Frau und darum schwul ist», warf Gipfel ein, «oder umgekehrt.»
«Aber wenn er sich zwischen die Beine schaut, muss er doch sehen, dass er ein Mann ist», sagte Karre und verzog seine Stirn.
Langenegger: «Männer, es ist ganz klar, schwul sein oder lesbisch ist eine Sache im Kopf, einen Schniddel zu haben oder eine Zwetschge, ist eine körperliche Sache!»
Dibidäbi: «Und die, die beides haben?»
Langenegger: «Sind eben Es.»
Dibidäbi: «Und die, die nichts haben?»
Langenegger: «Sind in ihrem Stammbaum eine Sackgasse. Aber sie könnten eine Karriere als Countertenor anstreben.»
Dibidäbi: «Also ein Es ist jemand, der im Kopf anders verdrahtet ist als sein Körper aussieht.»
«Da muss etwas ziemlich schiefgelaufen sein», raunzte Gipfel, «spielt endlich weiter, ich muss aufs Zimmer mein Knie hochlegen, tut abartig weh.»
Langenegger zählte seine Stiche: «98 und den Letzten, 103, was heisst schiefgelaufen, in der Natur läuft immer etwas schief, sonst wären wir nicht da.»
Knarre, ironisch: «Aber der Mensch war doch bis jetzt das Beste, was die Natur gemacht hat, und jetzt vermasselt sie alles wieder?»
Langenegger: «Nur weil die Natur dem Menschen ein Hirn gab, heisst das noch lange nicht, dass er das Beste ist. Die Hirne hat die Natur sehr ungleichmässig verteilt.»
Gipfel, ungeduldig: «Wer weiss, vielleicht wird der Mensch bald durchgehend ein Es sein, vielleicht ist das besser, es gäbe keine Geschlechterkonflikte mehr und die Araberinnen müssten keine Kopftücher mehr tragen.»
Dibidäbi: «Und man müsste nicht mehr vögeln, wird ab 40 liberements mühsam, göll.»
Knarre: «Nicht gut, die Menschheit würde sich nicht mehr fortpflanzen und ich bliebe auf meinen BMWs sitzen.»
Gipfel: «Dann verschenkst du sie halt denen, die noch richtig krassen Heavy Metal hören statt deinen albanischen Koksdealern.»
«Dreitausend, wir bedanken uns», sagte Chefarzt Langenegger, «tut mir leid, ich muss noch eine Krampfader strecken.»
In diesem Moment dudelte Dibidäbis Handy: «Hegottsack, ein Überfall auf die Kanalbank, ich muss, hents no loschtige!»
Dann sagte Gipfel zu Karre: «Holst du uns noch zwei Bier, Knarre, mir tut grad die Kniescheibe gopfvergessen weh!»
Karre antwortete ziemlich missmutig: «Und was meinst du zu meinem Fuss? Flach wie ein Ferrari, und der tut nicht weh? Hols dir selber!»
Gipfel stand von seinem Stuhl auf, verzerrte vor Schmerz sein Gesicht und sagte:
«Ich hol mir ein Bier und schmeiss‘ mir dann eine Schmerztablette rein, und zwar in dieser Reihenfolge.»
Knarre: «Ja hau rein das Zeug, und bring mir auch eins!»
Gipfel grinste frech: «Was denn, ein Bier oder eine Pille?»
Darauf Knarre: «Zwei Bier, quöllfrisch, hilft zuverlässiger als Pharma!»