pollinose

Posted by michl on 23/05/2014 in motz |

ja, ich hab‘ ihn. nein, ich leide nicht darunter. ich hab‘ ihn einfach und damit basta. er ist ekelhaft, doof und lästig. die meisten leute haben keine wirkliche ahnung wie lästig. viele fragen mich, echte empathie zeigend, wie er sich anfühlt, aber viele fragen mich nicht, denken sich vielleicht nur, dass ich heute zuwenig geschlafen oder gestern zuviel gesoffen habe oder beides. manche checken überhaupt nichts. und auch die haben nicht unrecht, denn oft sieht man mir nichts an. nicht nur mir – allen heuschnupfenbetroffenen. am schlimmsten sind die zeitgenossInnen, die sofort irgendein hausmittelchen kennen oder mir mit dem rat raten, die sache abklären zu lassen. aber am allerschlimmsten unter den schlimmen sind die, die ihre ratschläge schon äussern, bevor ich den satz «es ist wegen dem heuschnupfen» (üblicherweise nach einer heftigen niesattacke) beendet habe. leute, ich will keine ratschläge, keine falsche empathie und mitleid schon gar nicht. pollenhinweise in der zeitung brauch‘ ich auch nicht, sie nützen etwa soviel wie das steinschlagschild an einer bergstrasse – man weiss dann nur was es war, wenns auf dem autodach donnert. ebensowenig nützlich ist der hinweis, die schönsten frühlingstage in der wohnung und bei geschlossenen fenstern zu verbringen oder aber gleich im luftschutzkeller.

ich möchte hier und endlich ein für allemal für alle klären, wie sich der heuschnupfen anfühlt und ich möchte dann nicht mehr darauf angesprochen werden. allerhöchstens möchte ich hören: «hier, trink ein bier auf dein problem und auf meine rechnung!» (in der tat hilft bier gegen allergene tränenschübe).

am ersten tag des jahres, an dem normalerweise alle bauern zeitgleich das gras zum heuen mähen, geht es los. ein leichtes jucken im hals oder in den augen. je nachdem, wie nah man sich, also ich mich, am gemähten feld aufhalte, ist das jucken intensiver. es kommt zu ersten tränenausbrüchen. wenn dazu die sonne recht intensiv scheint, fliessen die tränen bereits wie bäche. man, also ich, nehm’s noch gelassen, es wird abend und die lage entspannt sich. am nächsten morgen wache ich mit dicken augen auf. bis ich es zum lavabo schaffe, fliesst der tränenbach bereits wie die tamina ihre schlucht hinunter. duschen löst für den moment das problem, ein zweites kündigt sich an: die nase. es juckt und beisst darin, und/oder es fliesst aus ihr. es ist aber erst vormittag. taschentücher – die grossen appenzeller, nicht tempo – müssen her. wenn jetzt noch leichter föhn aufkommt, ist die katastrophe perfekt. der wind bringt tonnenweise pollen in jede ecke. es gibt kein entfliehen, auch ein geschlossener raum nützt nicht viel, weil er längst mit pollen voll ist. eigentlich nützt jetzt nur noch eine taucherausrüstung oder ein astronautenanzug. oder man, also ich, versuche, meine arbeit unter der laufenden dusche zu erledigen oder auf dem jungfraujoch. beides ist aus naheliegenden gründen reine illusion.

je nachdem, wie stark die schleimhäute im laufe der saison schon gereizt, bzw. entzündet sind, kann sich das problem auch auf andere körperstellen verlagern. die augen schmerzen bei sonnenschein. es kratzt im hals, so dass man dauernd husten muss. das jucken kann sich auch in den hinteren gaumen oder in die gehörgänge verlagern, dort wo man sich nicht kratzen kann, das ist am allerdoofsten. man könnte die fingernägel in felswände schlagen und sich daran hochziehen, derart ärgerlich ist die sache in diesem stadium. gegen heuschnupfen hilft oft nur reiben und kratzen und schneutzen und alles unter kühlem wasser abwaschen. man reibt sich die augen, am besten mit verschwitzten fingern, dann kommt zum jucken auch noch das brennen, na toll. eine gepflegte konservation oder das sich beschäftigen mit dingen, wozu man die augen braucht, zum beispiel schreiben, wird gänzlich unmöglich weil man bei ersterem ständig flucht und bei zweitem nichts sieht. der gang zum nächsten wasserhahn wird zum emergency case. und dann hinlegen und ein eisbeutel aufs gesicht. heuschnupfen heisst auf englisch «hay fever», und so fühlt es sich in seinem augeprägtesten stadium an: wie fieber. heisser kopf, heisse wangen, laufende nase, dicker hals, brennende augen. aber keine erhöhte temperatur – nur der kopf ist heiss wie eine suppenpfanne.

in einem nächsten stadium kommen dann reaktionen auf allerlei sonstige kleinstpartikel in der luft dazu. man, also ich, bin plötzlich auch empfindlich gegenüber sahara- und hausstaub, abgase, rauch oder katzenhaare. steht ein blumenstrauss in einem wohnzimmer, niese ich schon unter der türe. mein körper läuft zur höchstform der gereiztheit auf und rächt sich schliesslich an der psyche. ich reagiere gereizt auf alles unzulängliche, auf rasenmäher und laubbläser und insbesondere auch auf alte menschen am steuer. mein toleranzspiegel sinkt drastisch, typisch allergisch eben.

mein heuschnupfen dauert etwa einen monat. worauf ich allergisch bin, weiss ich nicht im detail. es sind mehrere pollenarten, kamille und margritli sind dabei und haselnuss, nicht löwenzahn oder hahnenfuss. vermutlich auch bestimmte oder alle im alpenraum vorkommenden grassorten. wenn ich mich auf eine wiese lege, habe ich innert sekunden rote stellen auf der haut, wo sie das gras berührte. manchmal habe ich schon im januar symptome, wenns ein warmer januar ist und der haselnuss schon versamt. da sind die symptome aber noch vernachlässigbar. am nütigsten ist die zeit um ende mai, anfang juni, wenn die bauern permanent am heuen sind, es nie regnet und immer ein leichter wind geht. es gibt tage, da verfluche ich unter laufender nase und mit bächen in den augen den heuschnupfen. manchmal muss ich beim autofahren anhalten und die tränen aus den augen wischen. man müsste einen augescheibenwischer haben. manchmal renne ich alle fünf minuten zum lavabo, sofern vorhanden, oder ich dusche viermal im tag, sofern möglich. manchmal niese ich zehn mal hintereinander, meistens erschrecken dann die leute um mich herum, sofern welche um mich herum sind.

nein, ich mache keine desensibilisierung. und nein, ich nehme keine chemischen produkte mehr gegen das problem. ich habe alles genommen, was der markt in den letzten jahren (ich hab‘ das problem seit 30 jahren) hervorbrachte und die apotheker empfahlen: teldane, cetirizin, zirtec usw. ständig kommt etwas neues auf den markt, alle bekämpfen die symptome sehr effizient, einige können herzrhythmusstörungen nebenbewirken und alle machen müde und die pharmaaktionäre reich. die meisten trocknen auch die schleimhäute aus (als ob man zuviel kaffee getrunken hat) und man muss dann bier gegen die innere austrocknung zu sich nehmen, wovon die apotheker allerdings abraten, unpässlicherweise. aber bier hilft auch so gegen die symptome, ohne chemie. oder vielleicht ist es auch der umstand, dass dort, wo bier getrunken wird, viele leute zusammensitzen, die die ganzen pollen durch einatmen vernichten und man, also ich, somit keine symptome habe. in der beiz, logischerweise, nicht im biergarten. dumm ist das nur für getreideallergiker, der ich aber nicht bin. zum glück. bei allem pech mit der pollinose.

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