Jāņi und Līgo

Posted by michl on 06/07/2014 in träwel |

heute ist mon­tag und fei­er­tag in riga. das hat auch den über­ra­schen­den neben­ef­fekt, dass der gesamte öffent­li­che ver­kehr heute gra­tis ist. im tram freund­lich dar­auf hin­ge­wie­sen wor­den bin ich von zwei frauen, nach­dem das lämp­chen auf der ent­wer­tungs­box rot blieb, statt auf grün zu schal­ten. «not today!» für soviel hat der wort­schatz der älte­ren dame gereicht, eine jün­gere redete auf let­tisch auf mich ein, klar habe ich kein wort ver­stan­den. dann lächelte die ältere und vier, fünf frauen, mach­ten bemer­kun­gen dazu, in let­tisch, logisch, das ganze tram dis­ku­tierte. ich spürte, dass ich gemeint bin, bzw. mein dasein, bzw. meine unwis­sen­heit, und die tat­sa­che, dass ich keine ahnung hatte, wurde mir wohl­wol­len, nicht etwa abwei­send oder gar frem­den­feind­lich, vor augen geführt. «ein tou­rist, der weiss das nicht», meinte die eine ver­mut­lich. «der ver­steht dich nicht», die andere. «man müsste es ihm erklä­ren, aber ich kann nicht eng­lisch», wird die dritte wohl gesagt haben und es tat ihnen leid, so meinte ich aus der situa­tion zu lesen, dass sie mich nur ein­fach so unin­for­miert ste­hen, bzw. sit­zen las­sen muss­ten. doch im grunde beschäf­tigte mich die tat­sa­che, dass man heute gra­tis tram fah­ren konnte, nicht wirk­lich, denn ers­tens wür­den mich die net­ten damen bestimmt ent­las­ten, falls jetzt grad ein kon­trol­leur zustei­gen würde, und zwei­tens habe ich eine fünf­ta­ges­fahr­karte. und plötz­lich wun­derte ich mich dar­über, dass nur frauen im tram sas­sen. es waren nur eine hand­voll, ein dut­zend viel­leicht, aber keine män­ner und auch die fah­rer­ein war eine frau (wie ich spä­ter noch fest­stel­len werde, sind in riga alle tram­füh­re­rin­nen weiblich).

gripstrips_blog_DSC_3308es ist fei­er­tag heute. da arbei­tet (fast) nie­mand, ein­kau­fen geht auch nicht, also bleibt man erst mal zuhause. das grosse fest ist ohne­hin erst für den abend ange­sagt: Līgo, das fest, das der mitt­som­mer­wende folgt. das muss erklärt sein: mitt­som­mer­wende ist auch in lett­land immer am 21. juni. der längste tag mit anschlies­sen­der kür­zes­ter nacht fin­det, astro­no­misch betrach­tet, nicht immer exakt am 21. juni statt, manch­mal ist’s auch der 22., egal, die let­ten fei­ern immer in der nacht vom 23. auf den 24. juni. das fest heisst Līgo und es dau­ert die ganze nacht. dann ruhen sich die let­ten aus und las­sen am 24. den Jāņi fol­gen, und noch­mals wird wacker gefes­tet. das sind zwei fei­er­tage, die heuer auf mon­tag und diens­tag gefal­len sind, was für die meis­ten let­ten bedeu­tet, dass sie vier tage frei haben. Līgo und Jāņi sind sogar höhere fei­er­tage als sonn­tage, was unter ande­rem bedeu­tet, dass selbst die metz­ger, bäcker, gemüse– und blu­men­händ­ler (und alle –innen) im gros­sen markt hin­ter dem bahn­hof («Cen­trāl­tir­gus») ihre arbeit ruhen las­sen. Līgo und Jāņi bedeu­ten dem­zu­folge auch, dass tote hose ist über­all, mit aus­nahme — fin­di­guet — der gastronomie.

ges­tern, sonn­tag, war’s ein wenig anders im Cen­trāl­tir­gus. draus­sen auf dem vor­platz ver­kauf­ten die blu­men­händ­ler nicht nur rosen aus süd­ame­rika oder tul­pen aus ams­ter­dam, son­dern auch wie­sen­blu­men aus dem vor­gar­ten. das mitt­som­mer­fest ist ein fest der blu­men und über­haupt, der natur. män­ner schen­ken ihren frauen blu­men, wie­sen­blu­men vorab, oder frauen schen­ken sie sich gleich sel­ber, und mäd­chen flech­ten sich blu­men ins haar. für män­ner wie­derum ist das grüne eichen­laub bestimmt, das neben den mar­ge­ri­t­hen und blauen, mir nicht bekann­ten, blu­men ange­bo­ten wird. män­ner näm­lich flech­ten sich aus den eichen­zwei­gen einen kranz, den sie sich auf den kopf set­zen, frauen machen das­selbe mit Wie­sen­blu­men und gras. natür­lich lau­fen sie nicht mas­sen­haft so in der stadt herum, denn seine wir­kung erzielt der kopf­schmuck erst am abend am fest. aus grün­den der bes­se­ren trans­por­tier­bar­keit eines sol­chen kopf­schmu­ckes tra­gen die, die sich einen erstan­den haben, das schmuck­stück halt auf dem kof nach hause. und so sieht man heute den oder die einen oder eine mit grü­nem eichen­laib oder wie­sen­blu­men auf dem haupt durch die stadt schlendern.

abends dann geht man raus aufs land, Līgo zu zele­brie­ren. das mitt­som­mer­fest ist ein extrem natur­ver­bun­de­nes fest, eine tra­di­tion, ein folk­lo­ris­ti­scher event mit über­lie­fer­ten regeln. man deckt sich mit decken und pel­le­ri­nen ein und fährt raus in die Meža­parks, eine grün­zone im nord­os­ten, und fei­ert bis zum schie­ren umfal­len. da wird gemein­sam getanzt, gesun­gen, gesof­fen und in den frü­hen mor­gen dili­riert. man­che zie­hen sich dafür tra­di­tio­nelle klei­der über, und man­che zie­hen in den drei stun­den dun­kel­heit, die hier auf dem 57. brei­ten­grad, blei­ben, sich eben­diese wie­der aus. man sagt, dass der mor­gen­tau der kür­zes­ten nacht extrem gesundheits-, bzw. extrem frucht­bar­keist­för­dernd sei. also wälzt man sich aus­gie­big nackt im gras oder farn oder sand oder was sonst grad da ist. daselbst wer­den feuer ange­zün­det, an jeder ecke, es tre­ten folk­lo­re­grup­pen auf, auf plät­zen und büh­nen, und es wird wohl da und dort auch fremd­ge­gan­gen, bzw. wird der grund­stein für neues zar­tes leben gelegt. das ist Jāņi, bzw. war, denn das war ges­tern. heute ist Līgo, das fest nach dem fest und eher weni­ger natur­ver­bun­den. es ist in der stadt hier gleich um die ecke. davon schreibe ich mor­gen. sofern ich bis dann meine klei­der wie­der gefun­den habe.

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