Jāņi und Līgo
heute ist montag und feiertag in riga. das hat auch den überraschenden nebeneffekt, dass der gesamte öffentliche verkehr heute gratis ist. im tram freundlich darauf hingewiesen worden bin ich von zwei frauen, nachdem das lämpchen auf der entwertungsbox rot blieb, statt auf grün zu schalten. «not today!» für soviel hat der wortschatz der älteren dame gereicht, eine jüngere redete auf lettisch auf mich ein, klar habe ich kein wort verstanden. dann lächelte die ältere und vier, fünf frauen, machten bemerkungen dazu, in lettisch, logisch, das ganze tram diskutierte. ich spürte, dass ich gemeint bin, bzw. mein dasein, bzw. meine unwissenheit, und die tatsache, dass ich keine ahnung hatte, wurde mir wohlwollen, nicht etwa abweisend oder gar fremdenfeindlich, vor augen geführt. «ein tourist, der weiss das nicht», meinte die eine vermutlich. «der versteht dich nicht», die andere. «man müsste es ihm erklären, aber ich kann nicht englisch», wird die dritte wohl gesagt haben und es tat ihnen leid, so meinte ich aus der situation zu lesen, dass sie mich nur einfach so uninformiert stehen, bzw. sitzen lassen mussten. doch im grunde beschäftigte mich die tatsache, dass man heute gratis tram fahren konnte, nicht wirklich, denn erstens würden mich die netten damen bestimmt entlasten, falls jetzt grad ein kontrolleur zusteigen würde, und zweitens habe ich eine fünftagesfahrkarte. und plötzlich wunderte ich mich darüber, dass nur frauen im tram sassen. es waren nur eine handvoll, ein dutzend vielleicht, aber keine männer und auch die fahrerein war eine frau (wie ich später noch feststellen werde, sind in riga alle tramführerinnen weiblich).
es ist feiertag heute. da arbeitet (fast) niemand, einkaufen geht auch nicht, also bleibt man erst mal zuhause. das grosse fest ist ohnehin erst für den abend angesagt: Līgo, das fest, das der mittsommerwende folgt. das muss erklärt sein: mittsommerwende ist auch in lettland immer am 21. juni. der längste tag mit anschliessender kürzester nacht findet, astronomisch betrachtet, nicht immer exakt am 21. juni statt, manchmal ist’s auch der 22., egal, die letten feiern immer in der nacht vom 23. auf den 24. juni. das fest heisst Līgo und es dauert die ganze nacht. dann ruhen sich die letten aus und lassen am 24. den Jāņi folgen, und nochmals wird wacker gefestet. das sind zwei feiertage, die heuer auf montag und dienstag gefallen sind, was für die meisten letten bedeutet, dass sie vier tage frei haben. Līgo und Jāņi sind sogar höhere feiertage als sonntage, was unter anderem bedeutet, dass selbst die metzger, bäcker, gemüse– und blumenhändler (und alle –innen) im grossen markt hinter dem bahnhof («Centrāltirgus») ihre arbeit ruhen lassen. Līgo und Jāņi bedeuten demzufolge auch, dass tote hose ist überall, mit ausnahme — findiguet — der gastronomie.
gestern, sonntag, war’s ein wenig anders im Centrāltirgus. draussen auf dem vorplatz verkauften die blumenhändler nicht nur rosen aus südamerika oder tulpen aus amsterdam, sondern auch wiesenblumen aus dem vorgarten. das mittsommerfest ist ein fest der blumen und überhaupt, der natur. männer schenken ihren frauen blumen, wiesenblumen vorab, oder frauen schenken sie sich gleich selber, und mädchen flechten sich blumen ins haar. für männer wiederum ist das grüne eichenlaub bestimmt, das neben den margerithen und blauen, mir nicht bekannten, blumen angeboten wird. männer nämlich flechten sich aus den eichenzweigen einen kranz, den sie sich auf den kopf setzen, frauen machen dasselbe mit Wiesenblumen und gras. natürlich laufen sie nicht massenhaft so in der stadt herum, denn seine wirkung erzielt der kopfschmuck erst am abend am fest. aus gründen der besseren transportierbarkeit eines solchen kopfschmuckes tragen die, die sich einen erstanden haben, das schmuckstück halt auf dem kof nach hause. und so sieht man heute den oder die einen oder eine mit grünem eichenlaib oder wiesenblumen auf dem haupt durch die stadt schlendern.
abends dann geht man raus aufs land, Līgo zu zelebrieren. das mittsommerfest ist ein extrem naturverbundenes fest, eine tradition, ein folkloristischer event mit überlieferten regeln. man deckt sich mit decken und pellerinen ein und fährt raus in die Mežaparks, eine grünzone im nordosten, und feiert bis zum schieren umfallen. da wird gemeinsam getanzt, gesungen, gesoffen und in den frühen morgen diliriert. manche ziehen sich dafür traditionelle kleider über, und manche ziehen in den drei stunden dunkelheit, die hier auf dem 57. breitengrad, bleiben, sich ebendiese wieder aus. man sagt, dass der morgentau der kürzesten nacht extrem gesundheits-, bzw. extrem fruchtbarkeistfördernd sei. also wälzt man sich ausgiebig nackt im gras oder farn oder sand oder was sonst grad da ist. daselbst werden feuer angezündet, an jeder ecke, es treten folkloregruppen auf, auf plätzen und bühnen, und es wird wohl da und dort auch fremdgegangen, bzw. wird der grundstein für neues zartes leben gelegt. das ist Jāņi, bzw. war, denn das war gestern. heute ist Līgo, das fest nach dem fest und eher weniger naturverbunden. es ist in der stadt hier gleich um die ecke. davon schreibe ich morgen. sofern ich bis dann meine kleider wieder gefunden habe.
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