Die ptolemäische Influenzerin

Posted by michl on 31/10/2020 in nebi |

Kleopatra badete in Honig und Milch und influenzt 2000 Jahre später Generationen von schönen und nicht so schönen Menschen. Die Verschönerungsbranche macht Milliardenumsätze mit Schönheitsidealen.

MICHAEL HUG

Es war einmal eine Königin. Sie war so wunderschön, dass ihr ihr Hofstaat zu Füssen lag. Kleopatra, so hiess die schöne Königin, war so schön, dass ihre Schönheit weit über ihr Land Ägypten hinausstrahlte. Kleopatra war auch die erste Influenzerin der Welt, sie influenzte so sehr, dass ihre Influenz bis nach Rom drang. Dort bezirzte ihre Schönheit nicht nur einen Caesaren, sondern gleich zwei: Gaius Julius und Marcus Antonius. Ersterem gebar die schöne Königin einen schönen Sohn, der mit Ptolemäus Caesar zwar den Caesar im Namen trug, aber nie einer wurde, doch die Königin als letzter Pharao des ptolemäischen Reichs hatte eh nicht allzu viel zu sagen, da ebendieses in den wichtigsten Belangen von Rom aus beherrscht wurde. Die Influenzerin ohne politischen Einfluss hinderte das aber nicht, sich die beiden Chefs in Rom nacheinander zu Geliebten zu machen.

Stundenlange Bäder in Honig und Milch

Wie das so ist bei Influenzerinnen und Königinnen, wissen sie trotz fehlender seröser Beschäftigung den Tag sinnstiftend zu verbringen. Kleopatra nahm stundenlange Bäder in Blütenhonig und Kamelmilch, schmierte sich allerlei Pasten ins Gesicht und ins Décolleté und brachte damit ihre beiden Caesaren schier um den Verstand. Kosmetisch selbstbehandelt mit Cremes und Lotions – alles Bio imfall! – wurde die ptolemäische Königin zum Schönheitsideal ihrer Zeit und zum Vorbild für amerikanische Schauspielerinnen, derer eine sogar, selbst schon schön geboren, das Ideal zu ihrer Rolle machte. Elizabeth hiess die Kinokönigin, nicht von Windsor, sondern Taylor, sie verdiente mit dieser Rolle fast soviel wie ihr Ideal, nämlich eine Million Dollar, was 1958 noch ziemlich viel Geld war für eine Filmstarin.

Die Kosmetik war geboren

Hätte Kleopatra gewusst, was sie da in ihrem Kamelmilchbad tat, sie hätte es nicht Schönheitsbehandlung getauft, sondern natürliche Kosmetik. 1,8 Jahrtausende später wurde der Begriff Kosmetik von den Französinnen der haute volée geboren. Der Begriff «cosmétique» ist griechischen Ursprungs, nicht etwa weil es die Griechinnen exzessiv betrieben, sondern weil es ziemlich genau das ausdrückt, was es ist: Zierung, Schmückung, im erweiterten Sinne gemäss Duden «nur vordergründig vorgenommene Korrektur eines Tatbestandes zum Zweck der Manipulation; manipulatives Verhalten, mit dem ein äußerlich günstiger, gewünschter Eindruck erweckt werden soll». Eine andere Begriffserklärung aus den Tiefen des weltweiten Netzes beschreibt es weniger krass, dafür umfassend: Erhaltung, Wiederherstellung oder Verbesserung (entsprechend dem jeweiligen Schönheitsideal) der äusseren Erscheinung des menschlichen Körpers.

Kosmetik ist Verhüllung der Tatsachen

Das heisst, Kosmetik ist stets Fake, also Fälschung, Verhüllung, Verdrehung der Tatsachen, aus dem Kontext gerissen, und die da die grossen Meister im Faken sind, heissen nicht unbedingt Florence Nightingale Graham (Elizabeth Arden), Eugène Schueller (L’ôréal/weil wir es uns wert sind) oder Rudolf Steiner (Weleda), sondern Donald John Trump, Wladimir Wladimirowitsch Putin oder Recep Tayyip Erdoğan. Wie die Politik bedient sich die Kosmetik nebst oberflächlicher Anwendungen auch ziemlich krasser Methoden, wobei die äusserliche Applikation (Zierung, Schmückung) sich geradezu harmlos anhört gegenüber der innerlichen (Wiederherstellung, Verbesserung). Freiwillig unterziehen sich dabei Menschen Eingriffen, bei denen zuweilen massig Blut, Fett oder Silikon fliesst, Vorhandenes weggesäbelt und Fehlendes hinzumontiert wird. Die Anwendungen sind dermassen grotesk, dass sich unsere wunderschöne Königin, die wohlbemerkt schon vor der ersten Kamelmilchapplikation wunderschön war, was man eben bei heutigen Körpern nicht par tout behaupten kann, sich indigniert in ihrem Milchthalasso gedreht hätte.

Kopfbehaarung, Krampfadern und Schamlippen

Bemerkenswert ist dabei: Es wird stets an Körperteilen gepinselt, geschnipselt, aufgespritzt und wegseziert, die man, also Mann, sieht, nämlich Lippen, Augensäcke, Brüste, Hintern, Hüften oder Bäuche, zuweilen auch Kopf- und sonstige Behaarung, Krampfadern oder Schamlippen. Nie aber oder selten kommen Finger, Zehen, Zungen oder Innereien unters Messer, oder gar Gehirne, letzteres wohl auch wegen ganz oder teilweisem Fehlen ebensolchens (der Begriff «Gehirnwäsche» kommt aus einem anderen Bereich). Dereinst und wenn die Technik des 3D-Druckens wirklich ausgereift ist, wird man einem hohlen Kopf das Gesicht einer schönen Person überziehen und fertig ist das WNTM (Welts nextes Top Model). Leider, und jetzt zeigt sich der Haken der Geschicht‘: Gröbere Eingriffe lassen sich nicht mehr rückgängig machen oder nur mit viel Geld. Blöd ist dann, wenn schon beim Aufblasen die ganze Kohle draufgegangen ist, so dass es dann zum Absaugen, so man dereinst doch zu schwer an Silikonbrüsten oder Arschgeweihen trägt, nicht mehr reicht.

Zu teuer um darin zu baden

Natürlich würde Kleopatra noch leben, wenn sie nicht gestorben wär, bzw. sich selbst nicht vergiftet hätte. Milch und Honig hatten zwar ihre Schönheit erhalten, aber ihren dritten Möchtegerngeliebten Gaius Octavius alias Octavian alias Kaiser Augustus, trotzdem nicht verführen können. Die wunderschöne ptolemäische Königin im heissen Alexandria wurde ohne Chemie, Silikon und Skalpell nur 39 Jahre alt. Nach ihrem Tod wurde sie nekrokosmetisch behandelt (mumifiziert) und nie mehr gefunden. Doch Kleopatra influenzt Frauen und ein paar Männer noch immer. Nur schade dabei ist, dass Milch viel zu teuer geworden ist, um darin zu baden.

Erschienen am 1.11.2020 im Nebelspalter

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