Prügelnde Knaben und weiche Eier

Posted by michl on 15/10/2020 in nebi |

Männer sind Machos, manchmal Schweine, oft auch beides. Auf der anderen Seite des Männlichkeitsspektrums sind die Prügelknaben und Weicheier. Eine kleine Metaphernkunde.

MICHAEL HUG

Ist ein Mann, der prügelt, ein Prügelknabe? Ein Mann, der dies nicht tut, ein Weichei? Ein Waschlappen, Warmduscher? Ehrlich und nebenbei gesagt, ich dusche lieber warm und ohne Lappen und Eier mag ich fünf Minuten gekocht, also noch weich, zumindest das Gelbe. Ich kann nicht nachvollziehen, warum man Eier hart kocht. Und dann kalt serviert. Darum: weich und warm. Doch zurück zu den Prügelknaben. Natürlich sind Männer, die (sich) prügeln, keine Prügelknaben. Wenn schon Prügelmänner. Das ist das manchmal Seltsame an unserer deutschen Sprache: Es gibt Worte (Wörter?), die implizieren etwas ganz anderes als das, was auf den ersten Blick ersichtlich ist. Prügelknaben und Weicheier sind nicht das was ersichtlich ist, sie meinen etwas anderes. Man sagt dem Metapher. Metaphern stehen für etwas Symbolisches, also etwas was als Bedeutung für etwas steht, das eine Bedeutung hat.

Komplizierter Sachverhalt

Solche Metaphern eignen sich, einen komplizierten Sachverhalt relativ einfach darzustellen. Metaphern sind für LehrerInnen, PhilosophInnen und JournalistInnen (eher nicht für PolitikerInnen, da kommt nie etwas Gutes dabei raus). Zum Beispiel Weichei: Ein Weichei ist ein Mann, selten eine Frau, der keine Entscheidungskraft besitzt, keinen Mut hat, dafür viel Angst, ein Softie, eine Memme, Lusche, Pfeife, ein Feigling also. In Metaphern gesagt: Ein Warmduscher, Schattenparker, Hasenfuss, Milchbubi. Im Deutschen ein Schisser, im Österreichischen ein Seicherl (derb). Man sieht, wenn man den deutschen Thesaurus bemüht, erscheinen bei Metaphern wiederum Metaphern, und zwar gleich dutzendweise. Es ist also gar nicht so einfach, mit einem einzigen Begriff einen Begriff zu erklären. Es braucht viele weitere Begriffe oder eine ganze Geschichte. Ein Narrativ. Ein Weichei ist also ein Mann, selten eine Frau, der sicht nicht traut (trotzdem aber verheiratet sein kann), der nie zuvorderst steht, nicht auffallen will. Krude gesagt, «so einer hat keine Eier», auch keine weichen. In einer Spanne von Alpha bis Omega ist er ein Zetatier. Wie die meisten, insofern ist ein Weichei eher keine Ausnahme.

Der mit der Arschkarte

Ganz anders verhält es sich beim Prügelknaben. Der Begriff Prügelknabe ist ein Beispiel für eine missverstandene Metahpher. Peripher betrachtet könnte ein Prügelknabe (Knabenprügler?) ein prügelnder Knabe oder ein prügelnder Mann sein. Ein Bursche, der sich oder andere oder sich mit anderen prügelt, mit oder ohne Grund, ein Prügler also, u.U. ein Selbstprügler, ein Masochist zwecks sexueller Befriedigung oder Selbstkasteier um eines höheren Gutes willen. Doch das wäre zu einfach und bräuchte ausserdem keine weitere Erklärung, weil selbsterklärend. Prügelknabe meint etwas ganz anderes, das exakte Gegenteil nämlich: Ein Knabe, der geprügelt wird. In seiner einfachsten Form ist ein Prügelknabe ein Pechvogel, auf der anderen Seite der Skala ist er ein Opfer. Theoretisch könnte ein Prügelknabe auch ein Mann sein, der einmal oder ständig von seiner Frau verprügelt wird. Ein Prügelknabe ist ein Knabe (oder Mann), der für die Fehler anderer verantwortlich gemacht und dafür ge- oder verprügelt wird, wörtlich oder tätlich oder auf Social Media. Der mit der Arschkarte.

Söhne verprügelt

Wie viele Metaphern hat auch der Prügelknabe eine Vergangenheit, die sehr viel weiter zurückreicht, als man anzunehmen geneigt ist. Der Begriff «Prügelknabe» entstand im späten Mittelalter. Damals gab es Herren und Knechte und beider Söhne. Wenn ein Sohn oder mehrere Söhne von höhergestellten Leuten, sog. Adligen, Mist baute (eine Missetat beging), wurde nicht ebendieser bestraft dafür, sondern vor seinen Augen ein Sohn oder mehrere Söhne von Niedrigergestellten, sog. Knechten, verprügelt. Dies hat den Sinn oder Zweck oder beides, dem adligen Sohn zu zeigen, was ihm das nächste Mal passieren kann (aber in der Regel nie passierte) und ausserdem half es den Adligen beim ständigen Bemühen, das niedrige Volk niedrig zu halten. Der Trick funktioniert immer noch. Noch heute gibt es diese Tendenz, bestimmte Menschen zu prügeln, natürlich nicht mehr physisch, aber auch, sondern viel mehr psychisch. Die Reihe der Prügelknaben ist lang: Julian Assange, Alexei Nawalny, Jacob Blake, die Flüchtlinge von Moria.

Erschienen am 1.10.2020 im Nebelspalter – www.nebelspalter.ch

Copyright © 2012-2024 michl's All rights reserved.
This site is using the Desk Mess Mirrored theme, v2.2.4.1, from BuyNowShop.com.