Die dümmsten Kälber beim Metzger

Posted by michl on 10/01/2021 in nebi |

Frankreichs Köche haben bei der Verwertung von Tierbestandteilen so einiges drauf. Sie kochen Sachen, die bei uns verpönt, tabu oder verboten sind. Food Porn à la mode française. Ein Selbsterfahrungsbericht aus der hohen Küche.

MICHAEL HUG

Krieg und Totschlag, Flugzeugabstürze und Erdbeben. Neuerdings eine Pandemie. Schreckliches kommt auch beim Kochen vor. Was dabei herauskommt, dem stellen wir uns sogar freiwillig – wir essen es! Die dümmsten Kälber suchen sich ihren Metzger selber. Ich erinnere mich an unlängst vergangene Zeiten, ich war in Frankreich, blutjung und vollkommen grün hinter den Ohren. Ich traf in einer gehobenen Beiz Landsleute, vielgereiste Monteure, erfahrene Habitués, jedenfalls wussten sie mehr über Frankreich und seine Gepflogenheiten als ich. Ich, mutig wie ich immer bin, bestellte «Rognons de veau», wobei ich Kalb annahm, dass es etwas mit Kalb sein muss. Meine Tischnachbarn schienen auf den Weisheitszähnen zu grinsen, aber ich sah es nicht, ich meine mich zu erinnern, dass die Beleuchtung etwas duster, so dass ich die Mimik meiner Gegenüber nicht interpretieren konnte, oder meine Interpretationsfähigkeit eventuell durch die zwei Pastis, die ich mir zum Feierabend in der Bar vis à vis genemigte, schon etwas beeinträchtigt war.

Ein «i» zuviel

Jedenfalls schüttelten meine neuen Freunde den Kopf, darauf angesprochen, welcher Teil des Kalbs in diesem Gericht enthalten sein könnte. Die Wirtin konnte mir nicht helfen, oder wollte nicht, dachte wohl: Banause! Und auch mein elektronisches Dictionnaire wollte oder konnte mir nicht weiterhelfen. «roignons» kannte das Gerät nicht und ich verstand erst Jahre später, dass die frühen digitalen Hosensackübersetzer auf Null Toleranz gegenüber Rechtschreibefehlern, und sei es auch nur ein «i» zuviel, beharrten. Ich aber, wie gesagt, mutig und stets aufgeschlossen, bestellte diese Kalbsdinger, weil ich von mir weiss, dass ich fast alles Fleischige esse, ausser Innereien, Hirn und Zunge. Ausserdem ist man ja in Frankreich, das Land der kulinarischen Höhenflüge, wo u.a. aus tierischen Lebern und Schenkeln Delikatessen werden. Also bestellte ich die mir unbekannten Teile vom Kalb.

Es stank nach Urin

Doch als aufgetragen wurde, verging mir der Appetit. Das Gericht, das mir gereicht wurde, stank dermassen nach Urin, dass es mir den Atem verschlug. Keinen Bissen brachte ich hinunter, meine neuen Freunde grinsten oberhämisch, ich rief die Wirtin herbei: «On ne peut pas manger ҫa!», sagte ich in meinem Schulfranzösisch. Warum nicht, fragte die Chefin, und ich versuchte ihr zu erklären, dass es stinkt. Sie hielt sich den Teller unter ihre Nase und roch daran: «Da ist nichts schlecht dran», meinte sie, es sei alles so wie es sein muss. Ich sagte, es sei grauenhaft und nicht essbar. Madame, tief beleidigt, wurde lauter und meinte: «Das ist ein Supergericht, à la mode de la maison, und überhaupt, ihr Mann sei ein exzellenter Koch und mache das so, wie es in Frankreich üblich sei. Das sei hohe Küche, deshalb müsse ich es auch bezahlen, und überhaupt, sie dachte wohl wieder: Banause! Ich sagte: «Non, je ne mange pas ça, und bezahlen täte ich es grad auch nicht.» Hätte es Handys und Instagram damals schon gegeben, ich hätte ein Foto ins Netz gepostet.

Geschnetzelte Kalbsnieren

Auch ohne die unter schallendem Lachen abgegebene Erklärung des ältesten und erfahrendsten Landsmannes am Tisch verstand ich, was da vor mir stand: Geschnetzelte Kalbsnieren an Rotweinsauce. Ich war also angepisst. Ich gab den Teller zurück, unmöglich, das Zeug unberührt vor mir herstinken lassen, derweil die Anderen grinsend ihre Menus assen. Es war mir ebenso unmöglich, etwas anderes zu bestellen, der Appetit war mir vergangen. Ich bestellte einen Cognac. Cognac geht immer. Ich begann damals, VegetarierInnen zu verstehen, doch ich wurde trotzdem keiner. In den folgenden Jahren besuchte ich Frankreich berufs- und privathalber noch öfters und trat noch öfters in die eine oder andere «tasse de graisse». Ich lernte dabei viel über die französischen Sitten und Vorlieben, auch sprachlich kam ich vorwärts, und heute bin ich ab und zu der, der am Tisch grinst über den Mut bei gleichzeitiger Unbedarftheit der am Tisch Mitessenden.

Hundsgemeine Tischnachbarn

Aber so hundsgemein wie die damaligen Tischnachbarn bin ich natürlich nicht. Wo ich kann, helfe ich: «Casgiu Merzu», den lebendigsten alle Käse isst man auf Korsika. Die Maden darin sind nicht Folgen falscher Lagerung, sondern Teil des Rezepts. «Andouillette» ist eine aus (leeren) Därmen und Mägen von Schweinen, Kühen oder Enten hergestellte Wurst. Kalt oder warm essbar. Da läuft einem doch das Wasser im Mund zusammen! «Cassoulet», frei übersetzt «Bohneneintopf mit fleischiger Beilage». Das Würstchen darin gibt man am besten dem Hund. Der Schinken vom unkastrierten Eber unterscheidet sich namentlich nicht vom kastrierten, wohl aber geschmacklich, und zwar massiv. Die Franzosen lieben ihn, ich eher weniger. Oder eben die bekannten «Cuisses de grenouille». Sollen fein schmecken, sind hierzulande aber verboten. Ja es gibt übles, ganz ganz übles Essen in Frankreich. Da bekommt der Begriff «Food Porn» eine ganz neue Bedeutung. Der Begriff ist in unserem Nachbarland aber noch nicht angekommen. Ich hätte da einen Vorschlag: «Bouffe-Porn».

Erschienen am 1.12.2020 im Nebelspalter

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