«Herz ist Trumpf!» sagte der Schwingerkönig, nachdem er mit der Moderatorin per Ablupf den Trumpf bestimmte. Der 140-Kilogramm-Mann sass beim «Donnschtixjass» im Fernsehen auf dem fünften Stuhl am Tisch, Kamera 1 direkt gegenüber. Er teilte jedem am Tisch, ausser sich selbst, drei mal drei Karten aus. Die Moderatorin sagte zum Stargast:
«Du darfst beginnen!»
«Hihihi!» kicherte der Stargast, der diesmal eine Stargästin war, nämlich die Schlagersängerin Kikki Leandros.

Gipfel fragte sich, ob ein Star mit einem solchen Namen überhaupt jassen kann. Beim Schiedsrichter wunderte er sich, wie einer mit einem solchen Namen überhaupt Schwingerkönig sein kann.
Der König hiess Urs de la Montagne. Ein Quotenaussenseiter.
Jede Fernsehsendung, ob Show, Doku, News, Serie oder Movie hatte neuerdings Quotenteilnehmende, also jemand, der oder die eine Minderheit vertritt. Treibende Kraft hinter diesen möglichst niemanden diskriminierenden Regeln waren die sogenannten «Woken», eine Bewegung, die sich vornahm, es allen recht zu machen und niemanden aufgrund seiner Andersartigkeit, seines Geschlechts bzw. seiner sexuellen Gesinnung, was nicht unbedingt das Gleiche ist, seiner Hautfarbe, seiner Herkunft, seiner Essgewohnheiten, seiner eingebildeten oder tatsächlichen Allergien, seiner Grösse oder seiner Fähigkeit, selbst zu denken, ausschliessen wollte. Und zwar in allen Gesellschaftsbereichen, so in der Kirche, in der Politik und im Militär oder in der Kunst oder eben im Fernsehen. Und die beste Möglichkeit, dies der Bevölkerung zu vermitteln, beziehungsweise zu indoktrinieren, war das Fernsehen.Beim «Donnschtixjass» erfüllte der Schiedsrichter die Rolle des Andersartigen. Der war in seinem früheren Leben Sportschwinger, und zwar König in dieser Sparte. Er vertrat also gleich zwei diversitäre Gruppen, nämlich die der eingebürgerten Ausländer und die der Schwinger (nicht Swinger, obwohl auch diese können divers sein können). Damit entledigte sich der Sender eines weiteren Problems, nämlich bei jeder Durchführung und Live-Übertragung eine oder einen AussenseiterIn zu suchen und einladen zu müssen. Der Quotenaussenseiter war so von vornherein gesetzt, es brauchte also jedes Mal nur vier einigermassen gewandte JasserInnen, wovon jeweils eine/r ein prominenter Star irgendwelcher Art sein und eine/r am Telefon weitab des Jasstischs mitspielen musste. Natürlich konnte diese/r, also musste, vor dem eingeschalteten Fernsehgerät zuhause, in der Badi, im Zuchthaus oder sonstwo die Sendung verfolgen, sonst wüsste er oder sie nicht, was gerade Trumpf war. Warum diese/r Teilnehmende noch dazu in einer Kiste in einer Gegend fernab des Spielortes eingesperrt sein musste, wusste eigentlich niemand so genau ausser der Erfinder dieses Showjasses, nachgewiesenermassen ein Mann namens Felix.
Deshalb mussten die Kameraleute unbedingt darauf achten, dass die Kartenfächer der Mitspielenden nicht zufällig ins Bild gerückt wurden und dem/der Spielenden in der Kiste dadurch ein, wenn auch sehr kleiner, Vorteil zuteil wurde. Die Sendung erhielt damit eine gewisse Steifheit, weil für die Zuschauenden immer die gleichen Einstellungen zu sehen waren. Zudem musste der Stargast, ab der eintausendsten Sendung erstmals eine Stargästin, stets den Nachteil in Kauf nehmen, das Spiel beginnen zu müssen. Auch das eine Regel, die der Spielerfinder gesetzt hatte, warum auch immer. Trotzdem war die Vorabend-Sendung beim entsprechenden Publikum äusserst beliebt und schlug bei der Quote (die der Zuschauenden, nicht die der Diversen) regelmässig sogar die der nachfolgenden Tagesschau, aber nicht die von «Meteo».
Der Star Kikki Leandros, die als eingebürgerte Zypriotin in einem gewissen Sinne auch Quotenaussenseiterin – wobei man eigentlich nicht wirklich wusste, ob sie eingebürgert war oder einfach nur schon ewig in der Schweiz lebte – war, spielte die Schaufel-Acht aus und kicherte. Ihr Nachbar zur Rechten war Chefarzt Gudio Langenegger, der sich in Gedanken fragte, warum der Star kicherte, sagte dennoch kein Wort und stach mit seiner Schaufel-Dame. Der nächste in der Runde war Gipfel, er spielte sein Rosen-As aus, weil er keine Schaufeln im Blatt hatte. Er sagte kein Wort und kicherte auch nicht. Am Telefon gab Edmund Schur, der emeritierte Psychiater, der schon über Neunzig war und wegen Problemen mit seinem Bewegungsapparat nicht ins Fernsehstudio kommen konnte, womit diesmal klar war, dass er in die Kiste musste, der sonst redseligen, leicht übergewichtigen Moderatorin, die auch nichts sagte, was sehr auffällig war, die kurze und bündige Anweisung, den Schaufel-König auszuspielen.
Damit gehörte der Stich ihm, Schur, und er überlegte kurz, welche Karte er nun ausspielen sollte. Er hatte vorhergesagt, natürlich verdeckt, denn es gehörte zu dieser Art des Jass, dass nur der Schiedsrichter zu wissen bekam, wer wieviele Punkte zu punkten gedachte, aufgrund seines starken Blatts 72 Punkte zu punkten. Er gab seinem Telefon-Gegenüber, Moderatorin Manna Frassnacht, die gut vernehmbare Anweisung, das Herz-As auszuspielen, also den dritthöchsten Trumpf.
Kikki Leandros kicherte. Warum auch immer. Dann spielte sie die Herz-Dame. Langenegger, der sich darüber aufregte, dass mit französischen Karten gespielt wurde, wo er doch ein eingefleischter Deutsch-Kartenspieler war, als Appenzeller, schmiss seinen letzten Trumpf hin, ohne jedoch seinen Ärger über die «falschen» Karten preiszugeben oder sich anmerken zu lassen, die Herz-Acht. Gipfel hatte gar keinen Trumpf und spielte seinen Eventual-Bock, den Eggen-König, in die Mitte des Tisches. Er hatte nun ein blitzsauberes Blatt in den Händen, nämlich vier niedrige Kreuze und vier Eggen, das Eggen-Banner war dabei die wert- und hierarchiehöchste Karte. Er traute sich zu, damit keinen Stich machen und hatte de la Montagne, was auf Deutsch «ab dem Berghang» heisst, bei der Ansagerunde eine «Null» auf einem dafür vorgesehenen Zettelchen zugeschoben.
Nun, da Gipfel sauber war, konnte er mit einem Grinsen im Oberbauch weiterspielen und zusehen, wem es «eins reinhaut» (Jass-Slang), wer also viel mehr Punkte punktete als er oder sie wollte oder viel weniger. Er konnte nun auch nachvollziehen, warum die Starsängerin gegenüber ihm ständig kicherte. Doch die hatte mitnichten ein sauberes Blatt, im Gegenteil, sie stach und stach und sammelte dabei Punkte, die sie bestimmt nicht sammeln wollte. Dachte Gipfel, die Sache schien für ihn gelaufen, und zwar in seinem Sinne gelaufen.
Doch es kam anders. Alle Trümpfe wurden viel zu früh ausgespielt und im drittletzten Umgang liess Schur via Manna Frassnacht zwei hohe Eggen ausspielen, womit er und Gipfel beim letzten Stich die einzigen waren, die noch Eggen hatten. Schur, der sich besser in die Psyche Anderer als seiner eigenen denken konnte, spielte die Eggen-Sechs, Gipfel fluchte in seinen Oberbauch und musste mit seiner Eggen-Sieben stechen. Ein Desaster! 21 Punkte musste er sich kumulieren lassen, das Kreuz-As und die Zehn vom Kreuz, und für den letzten Stich noch 5 zusätzliche Punkte.
«Jemand hat beschissen», rief er vor laufender Kamera. Kikki und Manna erschraken heftig und starrten mit weit aufgerissenen Augen Gipfel an. Der Schwinger mit Zweitberuf Schiedsrichter fühlte sich in seiner Kompetenz verletzt. Er katapultierte explosionsartig seine 162 Kilogramm aus seinem Stuhl nach vorne und riss mit seinem Vorbauch den Jasstisch mit, wodurch die spindeldürre Kikki aus Zypern zwischen der Lehne ihres Stuhls und der Tischkante eingeklemmt wurde. Der nur sekundenbruchteillange Schockmoment reichte, Kikki in höchsten Schrecken zu versetzen, in dessen Folge sie beide Arme in die Luft warf, wobei sich die linke Hand in ihren mehrfach um ihren Hals gewundenen Kunststoffperlenketten verfing und diese zerriss.
Nun schrie Moderatorin Frassnacht recht laut auf, nicht ob des Desasters, sondern weil ihre Seite der Tischkante an ihr Kinn schlug und sie sich damit auf ihre eigene Zunge biss, wobei sie, ihrer Beleibtheit – nicht Beliebtheit! – sei Dank, nicht vom Stuhl fiel, so wie ihrerseits Kikki Leandros gerade im Begriff war. Kikki wiederum wäre von ihrem Stuhl gefallen, wenn sie nicht von dem zufällig dort stehenden Kabelträger namens Erich, der die ganze Zeit schon ein Auge auf den Star geworfen hatte und schnell begriff, was zu tun war und somit sein Kabel fallen liess, aufgefangen worden wäre, wobei sich die Perücke des Stars deutlich sichtbar, auch für die Kamera und somit auch für die Fernsehzuschauenden, verschob.
De la Montagne alias Abdemhang achtete nicht auf das von ihm verursachte Desaster am Tisch und schrie: «Was sagst du, du Schreibheini, natürlich habe ich aufgepasst, niemand hat beschissen, du hast keine Ahnung vom richtigen Jassen!» Worauf Gipfel, der üblicherweise zum Streiten viel zu phlegmatisch war, sich von seinem Stuhl erhob und ohne Punkt und Komma Abdemhang entgegen schrie: «Du magst vielleicht ein guter Swingerkönig sein aber als Schiedsrichter bist du eine totale Fehlbesetzung und ausserdem eine Spassbremse und ich glaube du kannst gar nicht jassen dafür umso besser Sägemehl fressen!»
Gipfel lehnte sich dabei nach vorne und gab dem Tisch Widerstand, doch als der Produktionsleiter namens Eric ihn an den Schultern fasste und ihn zurückzog, schob der Herr von der Halde den Tisch aufgrund seines formidablen Gewichts in Gipfels Richtung, verlor dabei das Übergleichgewicht und fiel bäuchlings auf den Tisch. Der wiederum war zwar recht stabil, aber eben doch nur in Leichtbauweise gebaut, damit sich die Studioleute nicht überhoben, zerfiel sodann in fünf Einzelteile plus fünf Tischbeine.
Nun lagen der Schwinger, die Jasskarten, die ausgeleerten, jedoch nicht zu Bruch gegangenen Wasser- und Weingläser der Spielenden, die Plastikperlen der Sängerin Kikki Leandros, ihre Perücke, die noch intakte Brille sowie acht der zehn falschen Fingernägel der Moderatorin Manna Frassnacht sowie die Trümmer des Jasstischs auf etwa sechzehn Quadratmeter verstreut am Boden. Zusätzlich liess eine temporär beschäftige Fachkraft Gastronomie (Serviertochter) vor Schreck ein Tablett mit vier vollen Stangen zu Boden fallen. Es gab eine Sauerei, und der derzeitige Freund von Manna Frassnacht, der sich bisher im Hintergrund hielt, eilte besorgt zu seiner Liebsten und sagte voller Liebe:
«Schatz, ist dir etwas geschehen?»
Kikki, der eine falsche Wimper vom linken Augenlid hing, suchte, tränenüberströmt, auf den Knien herumrutschend nach ihrer künstlichen Haarpracht, derweil Frassnacht die Augen weit aufriss und sich mit beiden Händen ihren blutenden Unterkiefer hielt. Langenegger, der sich gerade noch früh genug von seinem Sessel erhob, schrie «hey» und rannte rund herum um das Desaster, um Frassnachts Kinn, beziehungsweise Zunge zu untersuchen. Der Schwingerkönig lag bäuchlings auf den sperrhölzernen Bestandteilen des Jasstischs und fluchte ebenso wie Eric, der quasi der Chef im Raum war und trotzdem einen ziemlich hilflosen Eindruck machte.
Mindestens ein Kind im Publikum begann nun zu weinen, beziehungsweise zu schreien, eine ältere Zuschauerin fiel in Ohnmacht, kurz vorher krächzte sie noch: «Mein Gott Manna!» Der eine der beiden Kameramänner, der in relativer Distanz zum Tisch operierte, zog nun nacheinander beide fahrbaren Kameras zurück und brachte sich dann selbst in Sicherheit. Erich, der zweite Kameramann, homosexuell und sozusagen auch Quotendiverser, kümmerte sich sehr liebevoll um Kikki Leandros, die ohne Perücke wahrlich keinen besonders adretten Eindruck machte, und half ihr auf die Beine. Der Sendeleiter im sicheren Produktionsraum drückte eiligst ein paar Knöpfe und liess Sekunden später die Info «Sendestörung – wir arbeiten am Problem» auf den Bildschirmen der Zuschauenden zuhause erscheinen. Den Zuschauenden in der Gaststube des «Alpenblicks» im schaffhausischen Ramsen, von wo der «Donnschtixjass» jeweils live gesendet wurde, blieb grösstenteils der Schreck im Hals stecken, worauf sie vorerst gar nichts mehr von sich gaben und erst am darauffolgenden Mittwoch zaghaft begannen, Leserbriefe des Bedauerns ob Frassnachts gespaltener Zunge sowie besten Wünschen zu Kikkis baldiger Genesung an das TV zu schreiben.